Es war einmal in Ried im Innkreis
Tipps, Geschichten und Eigenheiten dieser — nicht nur aufgrund unserer Besamungsstation — berühmten Perle des Innviertels. Wie man mit einem Schuh Kreuzzüge anführt, mit rechten Bullys aufwächst und unbeschadet auf der Bierbank am “Volksfest” einschläft.
Im Norden Oberösterreichs, nahe an der bayrischen Grenze, beheimatet Ried im Innkreis keine 12.000 Menschen und trotzdem kennt diese Kleinstadt in Österreich irgendwie fast jeder. Ob in Wien oder Tirol, über ein paar Ecken schummelt sich immer eine Riederin oder ein Rieder in die Anekdote, das Gespräch oder die Bekanntschaft. Ried lauert stets um die Ecke.
Eigentlich ist das ziemlich gruselig, wie in einem David Lynch-Film; oder wie die Annahme, dass alle mit Dschingis Khan verwandt sind. Vielleicht ist Ried aber auch einfach das Zentrum der Galaxie, in dem alle existenziellen Stränge zusammenlaufen!? Das verlangt natürlich nach einem einen “Hitchhiker’s Guide*” für diesen obskuren Ort des Innviertels, kein Problem!
Ein recht offensichtlicher Grund für Rieds Fame ist wohl der hiesige Firmensitz von Ski Fischer, welche in der Wintersportwelt einen weltbekannten Namen darstellt. Der Fußballclub SV Ried — die Fans nennen sich martialisch “Wikinger” — hatte es für einige Zeit bis in die erste österreichische Bundesliga geschafft. Davon hat man eventuell auch schon gehört und vielleicht schaffen sie es auch bald wieder dorthin zurück.
Vielleicht ist Ried einfach das Zentrum der Galaxie?
Oder man hat von den FPÖ-Kundgebungen in Ried am Aschermittwoch schon mal gehört. Während Jörg Haider damals neben Reckstangen und anderen Turngeräten auf der Bühne in der Jahn-Turnhalle die Innviertler Rechte zum Kochen brachte, haben wir draußen demonstriert. Auf der andere Seite der Barrikaden uns gegenüber standen die Glatzen in Bomberjacken bei der Polizei und pöbelten uns “Scheiß Zecken” entgegen. Strache führte diese Aschermittwoch-Tradition in Ried weiter, leider ohne begleitende Demonstrationen dagegen.
Ried war und ist leider sehr fruchtbarer Boden für einen speziellen Typus des rechten Bullys. Einer, der in Straches Ibiza-Video besonders gut zur Geltung kommt. Ich kann dabei Van der Bellens “So sind wir nicht”-Zitat nicht zustimmen.
Ich erinnere mich an viele aggressive, feige, misogyne und verlogene Rechte in meiner Jugend. Diese Leute aus dem Video gibt es, gar nicht so selten, und sind für mich leider genau so Österreich, wie Walzer, Wandern und fettige Wuchteln.
Viele aus der Innvierteler Region, und darüber hinaus, pilgern jährlich zur Rieder Landwirtschaftsmesse und dem dazugehörigen “Volksfest”, nicht zuletzt um den heimischen Zuchtbullen und der berühmten High-Tech-Besamungsstation zu huldigen. Ist die Welser Messe besser und größer — kann ich mir nicht vorstellen!
Das alles beschreibt Ried im Innkreis jedenfalls ganz gut: Bauern und Rechte. Aber mein Geburtsort ist natürlich viel mehr als das. Einige unglaublich großartige Menschen sind dort aufgewachsen — mit, vor und nach mir, und vielleicht bist du ja sogar eine/r von ihnen — und es gibt einiges zu entdecken in meiner Heimatstadt. Los geht’s mit dem Allerwichtigsten.
Hör niemals auf zu essen
Jedes Mal, wenn ich meine Familie in Ried besuche, habe ich danach drei Kilo mehr. Ich komme an und quasi im selben Moment wird gejausnet, eine explorative Ersterkundung des Kühlschranks im Elternhaus. Man will ja wissen, worauf man sich einstellen muss. Eines ist sicher, man unterschätzt Essen im Innviertel immer.
Genehmige dir also als allererstes eine Bosna in Steffis Imbissecke, denn sie bietet die einzig wahre und für Rieder gültige Zusammensetzung: nicht ganz aufgeschnittenes längliches Weißbrotweckerl, zwei Schweinsbratwürstel, kleingehackte Zwiebeln, Ketchup, gelbes Currypulver, fertig! Das Erfolgsrezept hat Steffis Imbissecke sogar einen zweiten Standort beim Kreisverkehr quer gegenüber vom Mäcci beschert.
Kauf dir urig gutes Brot in der Mayer Bäckerei — in deren Café darüber hatte ich bei nächtlichen Privatpartys meine ersten Räusche und selbstgemachte Schinken-Käse-Toasts. Good Times.
Probiere unbedingt das dort heimische “Schusterlaberl”, eine Abwandlung vom Wachauer Weckerl, aber mit mehr Kümmel, mehr Sauerteig (meiner Vermutung nach) und 1.000 mal besser.
Wenn möglich, bestell dir den größt möglichen Trog Brat-, Grammel- und Speckknödel, den es gibt. Die Marke “Fuchsberger” davon kann man auch tiefgefroren kaufen. Diese Knödel der Region schmecken so gut, dass ich mich am liebsten darin begraben lassen würde — mit einer kleinen Portion Sauerkraut.
Die Rieder wären einfach gerne wieder bei Bayern (wie bis vor 200 Jahren) und verherrlichen charakteristisch Bier als das Allerheiligste. Genehmige dir ein Rieder Bier, denn sie haben eigenen Angaben nach ein “Händchen für Weißbier” und Exporte bis nach Kalifornien.
Ali Baba am Hauptplatz hat Kebab, perfekt um sich den Trachtenjanker mit Joghurtsoße einzusauen.
Das chinesische Restaurant Shangri-La ist gleich daneben und eine Rieder Institution. Die Familie Li betreibt es seit Jahrzehnten — ich bin mit ihren Hummerchips aufgewachsen. Durch meine Adern fließt ihre süßsaure Suppe.
Im Da Mimmo beim Tennisplatz, auch manchmal liebevoll “fetter Italiener” genannt, wegen der deftigen Speisen, solltest du dir den Bauch mit Pasta und Antipasti voll schlagen. Definitiv!
Apropos fett, ein Brat’l in der Rein ist natürlich ein Muss, um das Innviertel authentisch zu er- und hoffentlich ohne Arterienverstopfung zu überleben (g’surtes Fleisch oder nicht, Hauptsache knusprige Krusperl der Fettschwarte). Nicht den “Radi”, also Rettich, vergessen, damit du diese Bombe auch irgendwie verdauen kannst.
“Gemma fuart!”
Dort, wo Ried einmal ein diverses Nachtleben bot, findet man heute statt den legendären Absturzlokalen wie das Uhrwerk, die City — das einem Kreisverkehr Platz machen musste — , den Hafner Keller oder das Splash/Soda, leider nur noch wenig Angebot.
Besuche das Kellerbräu, und mit Connections zum Schützenverein kannst du vielleicht eine Magnum am Schießstand im Keller unter dem Wirtshaus ausprobieren.
Das Irish Viking Pub (formerly known as Irish Pub) hat nicht die kreativsten Namen, dafür gemütliche Metal-Heads und Guinness-Trinker.
Keine Lust auf’s Lusthaus! Ich war nur einmal dort, außerhalb von Ried an der Fernstraße zur Autobahnauffahrt. Während im Hintergrund traurige Gogo-Tänzerinnen tanzten, versuchte unser designated Fahrer die ehemalige Miss Austria aufzureissen. Ihre Freundin erzählte mir währenddessen mit lethargischen Tonfall, dass das Décolleté in bildfüllender Nahaufnahme einer damaligen Bier-Plakatwerbung, ihre Busen seien. Klingt jetzt vielleicht unterhaltsam, war es aber nicht.
Das Wikingertreff, das Fan-Lokal zur Fußballmannschaft, hat in meiner Schulzeit nicht den besten Eindruck hinterlassen. Ich habe bei meinem torkelnden Nachhauseweg daran vorbei von den Möchtegern-Hooligans der Rieder — die sich “Glory Boys” nennen — ein paar in die Fresse bekommen, weil ich keine Zigaretten für sie hatte. Aber wer weiß, vielleicht gingen die ja gar nie dorthin und es ist drinnen voll super. Ich habe jedenfalls kein Verlangen, es herauszufinden.
Geh in die Galerie, sie ist relativ unspektakulär, aber du kannst nicht viel falsch machen. Das Gleiche gilt für das Hemingway eine semi-spannende Cocktail-Bar.
Im Rohbau, einer umfunktionierten Traktorscheune, haben schon Erwin und Edwin, Wanda und andere super Bands gespielt — und fucking Carl Craig hat dort aufgelegt. Der dazugehörige Bauernhof hat übrigens Deckbullen zur Besamung gezüchtet, wenn ich mich richtig erinnere, und brennt fabelhaften Schnaps.
Ich will nur kurz erwähnen, wie sehr ich mich freue, dass das Excalibur, das Nazis gerne als ihr Stammlokal nutzen, permanent geschlossen ist.
Das KiK (Kultur im Keller) veranstaltet in Ried Konzerte, Kabarett-Abende und Lesungen. Fun Fact: Der Sohn von einem der Betreiber hat übrigens Das Werk in Wien gegründet. Wie gesagt, Rieder sind überall!
Die Auswaerts Bar ist schick und perfekt um sich gediegen mit Qualitäts-Cocktails in ein Black Out zu saufen. Dein Monatsgehalt könnte dabei aber draufgehen.
Das Puff Bar Royale blockiert den Blick auf die Kapuzinerkirche dahinter und im Frühling wächst daneben Bärlauch in Massen. Es wird auch bald einem Kreisverkehr weichen müssen.
Im Sansibar, dem “Strip- und VIP-Club”, gegenüber von einem florierenden Trachtengeschäft, verlierst du problemlos den Glauben an die Menschheit. (Das Lokal hieß davor übrigens einfach Pub, noch ein Zeugnis der endlosen Kreativität der Rieder Fortgehmeilen.)
Kulturelle Highlights
Franz Stelzhamer hat die oberösterreichische Landeshymne “Hoamatlond” geschrieben und war Mundartdichter — wahrscheinlich auch ein Alkoholiker, der Überlieferungen nach aus so manchem Lokal geworfen wurde.
Der Dietmar-Brunnen am Hauptplatz in Ried (erstes Foto ganz oben) bildet Dietmar den Anhanger ab, der bei den Kreuzzügen mit seinem Schuh auf einer Lanze ein Heer zum Angriff gegen das byzantinische Ikonia mobilisierte. Wenn man Land und Leute der Gegend kennt, hat diese Gründungssage etwas von einer Aktion im Vollrausch.
Napoleon wurde in Ried Überlieferungen nach beinahe ermordet. Die damals noch deutsche Stadt verbündete sich dann Anfang des 19. Jahrhunderts gegen den Revolutionsführer und ging wenige Jahre später zu Österreich über.
Ich kannte ein paar Kids der ehemaligen Ried Street Bombers. Die RSB-Graffitis zierten über Jahre hinweg einige schwer erreichbare Stellen der Stadt.
Ähnlich versoffene Geschichten dürften vor mehr als 100 Jahren bei den Fehden mit Schärding — ja, das mit den Milchprodukten — vorgefallen sein. Die Rede ist von Messerstechereien zwischen den Dörfern, und selbst heute traue ich mich nicht, laut zu sagen, dass ich das Baumgartner Bier aus Schärding besser finde als das der Rieder.
In der Stadtpfarrkirche in Ried steht eine Schwanthaler-Orgel, was ich als Banause nicht wirklich wertschätzen kann — hey, aber vielleicht du.
Arm, Reich und alles dazwischen
Ried im Innkreis hat einiges an Kohle, ein fettes Gewerbegebiet und seit paar Jahren die Weberzeile, eine mächtige Shopping Mall mitten im verkehrstechnisch komplett überlasteten Zentrum. Sie ist extrem hässlich und alle lieben sie.
Vor Jahren gab es mehrstöckige Wohnanlagen, deren Stiegen auf der Außenseite befestigt waren und Balkonkonstruktionen zu den Hauseingängen führten. Das waren Sozialbauten und wurden liebevoll “Hehnasteig’n” genannt, weil sie an Hühnerställe erinnerten.
Seit Ewigkeiten gibt es einen City-Bus, der deprimierend leer seine kleinen Runden durch Ried zieht — anscheinend auch arschteuer. Vielleicht aber auch nur ein intergalaktischer Glitch in meinem Erinnerungsvermögen.
Schau vorbei bei Stoffis Garage, wenn du auf italienische Mopeds stehst, Vespas, Lidos und die Marke Pirelli allgemein. Die muss man sehr oft reparieren lassen, was wiederum Stoffis Team nicht wirklich stört.
Der Name der Fahrschule Easy Rieder klingt zwar nach einem dem Tiefpunkt jeder Wortwitzkultur, aber meinen Führerschein verdanke ich ihnen trotzdem.
Politische Färbung? Sagen wir so, es ist kein Regenbogen
Wie es sich wahrscheinlich erahnen lässt, war es für jemanden wie mich mit linker Gesinnung, nerdigen Interessen und null Sinn für Fußball nicht einfach, in Ried aufzuwachsen. Die Punks, die früher am Stelzhamer Platz abhingen und wenigstens ein wenig Charakter und Lokalkolorit mit sich brachten, musste man einfach spannender finden als die ständig besoffenen Burschis und blondierten Fascho-Bubis.
Schwarzblau ist wie eine allgegenwärtige Aura und meistens nur ein Small Talk-Gespräch über “alte Zeiten” oder eine unfreiwillige Wochenblick-Zusendung entfernt.
Selbst heute traue ich mich nicht, laut zu sagen, dass ich das Baumgartner Bier aus Schärding besser finde als das der Rieder.
Stelzhamer hat nicht nur über seine Liebe zur oberösterreichischen Heimat geschrieben, sondern in der Publikation “Jude” auch antisemitische Tiraden.
Die Bude der Germania Burschenschaft findest du genau hinter dem repräsentativen FPÖ-Schild auf der Froschaugasse. (Wir haben uns vor vielen Jahren mal reingeschlichen und ihnen das Bier weggetrunken.)
Die Turnhalle des nationalistischen Turnvater Jahn befindet sich 100 Meter weiter die Straße runter.
Die Rieder Weißbier-Sorte “Rieder Neger” wurde Anfang 2000er relativ schnell wieder vom Markt genommen.
Erwarte nicht, dass du auf einer Party am Messe-Gelände die syrische Strick-Haube, die dir dein Vater aus Damaskus mitgebracht hat, tragen kannst, ohne als “scheiß Jude” beschimpft zu werden. Auf wie vielen Ebenen das absurd ist, kann ich gar nicht aufzählen.
Du findest in Ried aber auch jede Menge wunderbarer Menschen, die sich sozial engagieren, Alten-, Behinderten- und Krankenbetreuung. Ried hat viele KünstlerInnen, super MusikerInnen, Intellektuelle und überraschenderweise auch GrünwählerInnen — Schwarzgrün war echt ziemlich in Ordnung, meiner Meinung nach.
Was haben wir die ganze Zeit gemacht?!
Das Volksfest der Rieder Messe, bräuchte eigentlich seinen eigenen Artikel, aber soviel sei gesagt: Das Schlimmste ist, beim Autodrom mit Skinheads, die auf Schlägern aus sind, zu diskutieren, welche Farbe Schuhbänder in die Doc Martens gehören. Das Beste ist, sich mit Weißwürstel mit Händelmayer Senf und einer riesigen Laugenbrezel vor der Bierzeltstimmung abzuschotten. Wenn du um 4 Uhr Früh in der Weinhalle aufwachst, trink bitte nicht die leeren Krüge um dich herum leer. Versuche auch nicht, im kreisenden Tagata zu schmusen. Und das Klebrige an deinem Hinterkopf nach der Fahrt im Breakdance ist leider ziemlich sicher Kotze.
Ansonsten solltest du die Tradition weiter aufrecht erhalten, im Studentenpark die ersten Joints zu rauchen und Außenseitertum zu zelebrieren.
Geh am “Güpl” spazieren, dem Hügel nordwestlich von Ried. Aber gib acht, dass du nicht in eine Truppenübung der ansässigen Kaserne gerätst.
Versuche auch nicht, im kreisenden Tagata zu schmusen.
Die Menschen in Ried mögen fettes Essen, Bier und schimpfen gerne. An mir, meinen Familienmitgliedern und der Region allgemein kann man erkennen, dass Starrköpfigkeit und Sturheit hier fest verwurzelt sind. Auseinandersetzungen haben bei uns so viel Flexibilität und gegenseitiges Entgegenkommen wie Gletscherwanderung.
Ich muss leider sagen, mit vielen Riedern kann ich nicht mehr als eine Minute verbringen, weil sie so viel dämlichen Scheiß von sich geben. Manche werden das wohl auch von mir behaupten — besonders nach diesem Beitrag. Aber da waren einige sehr besondere Menschen und meine besten Freunde. Nächte lang quatschen. Sich gegenseitig inspirieren und herausfordern, ohne Pöbeleien und grindiger Verarschung.
Meine Theorie ist, dass Ried im Innkreis ein bisschen wie ein menschlicher Komposthaufen ist. Es faulen der Müll und stinkender Dreck vor sich hin, aber gerade deshalb wachsen so schöne Blumen darauf. Finde deine Leute und es ist die beste Heimatstadt, die man sich wünschen kann. Ach ja, und ein Kreisverkehr ist nicht immer die Antwort auf alles.
*(Ich habe eine erste Version dieses Textes für VICE Austria begonnen. Dort gibt es bereits eine ganze Sammlung mit österreichischen Städte-Guides. Deshalb erinnert dieser Beitrag vielleicht an das Format. Leider kam es aufgrund verschiedenster Entwicklungen in der heimischen Redaktion nie zur Veröffentlichung — bis jetzt).