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10 Takes (April)

Josef Zorn
7 min readApr 13, 2021

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Nachdem ich in den 10ern beinahe 10 Jahre über Games, Filme und Serien geschrieben habe, dachte ich eigentlich, es geht mir am Arsch und wen interessiert das überhaupt noch.

Aber ich versuche Gesehenes und Erlebtes zu verarbeiten, ganz, also auch einen reflektierten Abschluss dafür zu finden. Und ich bin eben mittlerweile so konditioniert, meine oft wirren Gedanken zu teilen und dadurch zu challengen. Schreiben funktioniert, auch wenn es oft Pain ist.

Hier sind 10 Filme, die ich in letzter Zeit gesehen habe (penible OCD Auflistung auf meinem icheckmovies-Profil, immer offen für Anregungen) und in Kurzbeiträge verwurstet. Vielleicht ist ja eine geile Empfehlung dabei oder jemand kann sich vor etwas vergeudeter Zeit bewahren.

La Casa Lobo (2018)

Chilenische Stop‑Motion, in der sich ein Mädchen der “Colonia Dignidad” in einem spooky Haus verläuft. Dort findet es zwei Schweine, verwandelt diese in Menschen und arisiert sie quasi. Das Ganze ist eine Märchenallegorie von Missbrauch und der tatsächlich in Chile existierenden auslanddeutschen und turbochristlichen Sektensiedlung “Kolonie Würde”.

Die Sau dreht den Kopf und reisst dadurch eine Öffnung am Nacken auf. Diese wächst Frame für Frame wieder zu, mithilfe von raschelnden Pappmaschee und Tixo. Gepatzte Basteleien und schlampige Materialvortexe zerfallen und rekonstruieren sich, hinterlassen Narben. Jedes 0,04‑sekündige Bild an der Wand wird vom nächsten übermalt, mit neuer Kadrierung. Ein Mandala‑Massenmord, der hypnotisiert bis die dick geschichteten Farben in Strömen fließen.

Der praktische Ideenreichtum und die ambitioniert‑geduldige Schaffensweise werden jeden auch nur peripher an animierter Erzählung und zeitgenössischer Kunst interessierten Menschen fucking umhauen!

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Die Dohnal (2019)

Eine liebevolle Biografie der SPÖ‑Politikerin und Frauenministerin ab 1990, Johanna Dohnal. Nüchtern und auf intelligent zugängliche Art wird ihre Laufbahn und sowie privater Lebensweg dokumentiert.

Wie sich zwei ihrer Kolleginnen im Interview an die harte Arbeit im Ministerium erinnern, fand ich besonders sympathisch. Vranitzky, der sie gekübelt hat, windet sich typisch österreichisch in seiner “ging nicht anders”‑Legacy — aber auch cool, dass er überhaupt im Film mitgemacht hat. Vergewaltigung in der Ehe war vor ihr nicht strafbar! Und ständig das besonnene Mantra, dass es ganz schlicht und einfach um Fairness und Gleichstellung von Frauen geht. Das Footage von Diskussionen, in denen Dohnal pragmatisch und integer Grundrechte durchboxt, gegenüber verkalkter seelenloser Bürokraten, versprüht so viel Idealismus und Gerechtigkeitsbewusstsein. Ich und gar nicht so wenige andere sind ausgehungert nach solcher Inspiration.

Dohnal ist eine großartige Persönlichkeit, die wir nicht (wieder) vergessen dürfen — genau wie ihre glasklare Linie, die Selbstverständlichkeit der Guten Sache. Menschen, die wie ich immer noch von einer lernfähigen sozialistischen Gesellschaft träumen, finden in ihr ein wunderbares Leitmotiv.

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Bill & Ted Face the Music (2020)

Zwei Pseudo‑Metalheads an die 50 haben in ihrer Jugend ein paar Reisen durch die Zeit und andere Existenzebenen gemacht. Gut, die Zukunft holt sie nun wieder ein und will, dass sie das beste Lied der Welt schreiben. Wieder bekommt Zeitkausalität einen Surfer‑Idioten‑Anstrich und bleibt WIEDER unbedenklich anspruchslos.

Ich kann mich erinnern, wie meine Oma vor 20 Jahren betroffen reagierte, weil Bill und Ted (im 2. Teil) mit dem Tod abhängen. “Der Tod ist nicht lustig.” Sie hat Recht, auch in Bezug auf dessen Character in diesem Film. Die Töchter sind kurz interessant, aber leider auch nur schreckliche Typus‑Imitate (so wie schon Female Garth oder Female Brick), und ihre schicksalhafte Wichtigkeit am Ende wirkt bemüht und peinlich. Nicht mal Mozart, der mit einem Höhlenmensch‑Drummer musiziert, trifft einen brauchbaren Ton.

Die Prämisse der BEAVIS & BUTTHEAD‑Light‑Dudes war schon damals in den 90ern mäßig lustig und der Grund, diesen Film zu schauen, ist so nonexistent wie der, ihn überhaupt zu drehen. Keanu wollte gutherzig seinem Schauspieler‑Kumpel aushelfen.

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Dog Day Afternoon (1975)

Drei Typen wollen eine Bank ausrauben und einer davon bekommt gleich in den ersten Minuten des Films Panik und haut ab. Das markiert perfekt den Beginn der exponentiell abfallenden Kurve in die Scheiße, in der der Tag von Al Pacinos Bankräuberfigur verläuft. Er verliert nie auch nur ein Stück seiner zerstreuten Liebenswürdigkeit trotz der viel zu entspannten Geiseln und cholerischen Polizeiverhandlungen. Er will doch bloß Geld für die Geschlechtsumwandlung seines Partners auftreiben.

Ob der verschwitzte Tanz am Gehweg vor der Bank, bei dem Peak‑Pacino den Polizeibarrikaden und Schaulustigen wild entgegen gestikuliert, wirklich diese tolle Performance war beim tatsächlichen Banküberfalls in Brooklyn, auf dem der Film beruht, ist letztlich egal. Einfach nur purer 70er‑Jahre‑Character‑Acting‑Augenschmaus.

Der Showrunner meiner derzeitigen Lieblingsserie PATRIOT hat diesen Film als eine Hauptinspiration genannt. Die Narrative der ausweglosen Situation, in der alles nur immer schlimmer wird. In Verzweiflung und Chaos können so viel Humor und Affektion stecken.

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Euphoria (2019‑)

Eine Teenie‑Dramaserie, deren Settings “Relevanz”, “Look & Musik” und “Skript‑Finesse” voll aufgedreht worden sind. Jules, ein pubertierendes Transmädchen, das sich im heimlichen Sex mit Online‑Dates zu finden versucht, trifft auf die gleichaltrige Rue, die auch psychische Probleme und ordentliche Drogenabhängigkeit mit sich schleppt. Bekannte Tropen aus dem US‑Highschool‑Bausatz bekommen zeitgemäßes Gewand und ergeben dabei eine der schönsten Liebesgeschichten, die ich je gesehen habe.

Da gibt es gibt auch den Psycho‑Sportler, die slut‑shamed Cheerleaderin und andere gefühlt schon doch oft gesehene Storylines a là EISKALTE ENGEL und Co. Das hat mich im Kontrast mit den so eindringlich innovativen Elementen der Serie sogar bisschen gestört, vor allem aber weil ich eben hauptsächlich an den beiden Hauptcharakteren interessiert war und nicht an den anderen. Zum Glück gab es letztes Jahr zwei irre gut geschriebene Special‑Folgen, die nur von Jules und Rue handeln, und ich fühlte mich dadurch fast persönlich angesprochen und gehört. Danke schön!

Die Figuren sind sehr spezifisch und trotzdem konnte sogar jemand wie ich viele Identifikationspunkte finden. Wie hier Highs, Depression, Sucht, Party und existenzielle Ängste dargestellt werden, bewegt zu Tränen — egal welcher Art.

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Once Upon A Time…In Hollywood (2019)

Ende der 60er herrscht in der Studiostadt LA kreative Langeweile und Routine, überall nur Massentaugliches, Western und Verhärtung des Business. Ein Star dieses Systems und sein Fahrer treffen auf die Counter Culture und das neue Hollywood.

Dakota Fanning als furchteinflößende Manson‑Anhängerin funktioniert gut und subtil, die Etablierung des Brad Pitt‑Stuntmans als Bruce Lee verhauenden Übermacker weniger. Die Szenen knistern selten und teilweise sprechen sogar die Figuren selbst über eine Fatigue des Filmemachens.

Tarantino will eine krasse Tragödie aus Hollywood‑Historie verhindern, den Startschuss der Dämon‑Werdung Roman Polanskis. It’s personal. Mit dieser Sichtweise war ich eigentlich zufrieden am Ende. Wir, die den großen Zitate‑Zaren und Monologe‑Meister lieben, werden auch hier genug Schönes finden und können und ja einreden, dass das Enttäuschende vielleicht sogar Teil seiner Intention war.

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I Care A Lot (2020)

Profi‑Soziopathin Marla, großartig gespielt von Rosamund Pike, nutzt die rechtlichen Schlupflöcher eines kaputten Altenpflege‑Systems aus, um SeniorInnen finanziell auszusaugen. Der Scam, den sie perfektioniert zu haben scheint, endet als sie die falsche Omi wegsperren lässt und so stolz wie gierig in ein Hornissennest des organisierten Verbrechens greift.

Eiza González, als ihre Partnerin (professionell und privat), ist eine umwerfende Präsenz, aber die Beziehung der beiden empfand ich null glaubhaft, wie einzelne andere Szenen und Figurenentscheidungen. Ich habe in der so unglaublich cool und charimatisch gezeichneten Figur von Marla ein Anbiedern gesehen, an ein Publikum, das auch mal Frauen als Arschlöcher feiern will, neoliberale Menschenfeind‑Göttinnen, die moralisch Verachtungswertes mit gutem Modegeschmack und intreganter Schläue wett machen.

Konnte ich nicht: Mit einer unverzeihlich bösen Hauptfigur habe ich kein Mitleid sobald für sie Sturmwolken in der Handlung aufziehen, im Gegenteil. Das Mitfiebern bricht weg. Wie schon bei UNCUT GEMS kann ich keine emotionale Verbindung zum Protagonisten herstellen (im Unterschied zu Antihelden wie Walter White, Red, Tony Soprano und deren wenigen aber bestehenden moralisch rehabilitierenden Eigenschaften). Es war bloß ein stylisher Spielplatz voller Wichser.

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The Hunchback of Notre Dame (1996)

Ein erstaunlich brutaler Disney‑Film mit seinem seit Ariel ewig gleichbleibenden Theme des Ausbruchs in die Freiheit einer vorenthaltenen Welt. Anfang des 19. Jahrhunderts wird der mit körperlichen Fehlbildungen geborene Quasimodo von einem Staatsmann und Sadisten in den nominellen Kirchturm gesperrt, sieht sprechende Gargoyles (einer davon ist George Costanza) und findet nach Scham und Enttäuschung doch irgendwie ein etwas ungeschickt angestückeltes Märchenende.

Frühe Computer‑Effekte beeindrucken in Massenszenen und beim Raumerlebnis. Gritty Realismus war offenbar ein Leitthema, wenn man Animationsstil der Gesichter und auch Rahmenhandlung rund um die damalige französische Roma‑Verfolgung betrachtet.

Esmeralda, als früher PoC‑Lead‑Character, liebe ich zum einen und muss gleichzeitig auch unsicher die Stirn runzeln, in Bezug auf bestimmter Stereotype. Disney greift da ja seit den 30ern mit Talent öfter in’s Klo.

Sicher etwas für alle, die sich freuen, dass eine Geschichte von Außenseitertum und nicht erwiderter Liebe, NICHT mit Doxxing, Rache an der Frau, Trolle, Incels und Männerrechtlern endet.

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Zack Snyder’s Justice League (2021)

“Ich bin kein kluger Film, Jenny, aber ich weiß was Unterhaltung ist.” Mit genug Spielzeit konnte der Prolo‑Regisseur endlich die mehr seiner Vision entsprechende Version eines Superheldenfilms basteln. Alle Charaktere bekommen genug Zeit, um etabliert zu werden, Sinn zu machen, besonders Cyborg, der allmächtige Technologie‑Gott wie er endlich den Comic Book‑Vorbildern entsprechend eingeführt. Die bekanntesten DC‑Figuren werden Freunde, um eine Chance gegen intergalaktische Bösis zu haben.

Diese vier Stunden haben einige leckere überstilisiert coole Szenen. Die Wonder Woman Haudrauf‑Intro‑Sequenz zum Beispiel oder wie Flash durch die Speed Force‑Welt schwattelt. Die Amazonen mochte ich schon immer (besonders wenn sie dicke Hämmer schwingen) und irgendwann ist mir dann auch schon egal, dads Batman mit der Shotgun Para‑Demons niederholzt.

Der Film hat den Vorteil eines besseren Timings ohne Trump‑Schock, nach dem man brutale selbstmitleidige Supermenschen ablehnen musste, und mit dem neuen individualisierten Streaming‑Medienkonsums. Ich empfehle einen Spliff oder zwei für den Marathon MAN OF STEEL, BATMAN V SUPERMAN Extended Cut und dann ZS’s JL.

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Can’t Get You Out of My Head (2021)

It’s all too much! Aber diese aus Tonnen von perfekt ausgewählten Archiv‑Videomaterial zusammengeflickte Doku versucht trotzdem den Überblick über die letzten 150 Jahre Menschheit zu behalten. Anhand von Einzelschicksalen quer durch die Zeitgeschichte und verteilt über alle Kontinente, werden politische, sozialpsychologische, wirtschaftliche Strömungen und Entwicklungen identifiziert, erklärt und in Relation gesetzt.

Der Lebensweg von Maos Frau und die Verbrechen der roten Garde sind genauso Thema wie Tupac und seine Rolle im Civil Rights Movement. Eine Folge fängt an mit dem harten Kampf einer Transfrau mit den medizinischen Institutionen Englands der 70er, um den Bogen zur britischen Entstabilisierung im Irak zu spannen. Plötzlich treffen Nixons Einfluss auf die Weltfinanzen auf Chinas Entscheidung, Ideologie gegen Geld zu tauschen.

Wer keine Angst vor 8 Stunden geballter Menschheit hat, sie in ihrer Verworrenheit und Fehlgeleitetheit trotzdem auch wunderschön wie ein Korallenriff oder Computerchip findet, plus geile Musikeinsätze mag, wird im 7. Himmel sein. Ich traue mich zu behaupten, nach dieser Doku gewisse Dynamiken auf dieser Welt, die sich sonst in globaler Komplexität verstecken, wenigstens ansatzweise anfange, zu verstehen. Dieser und Adam Curtis’ zwei anderen Videowälzer (HYPERNOMALISATION, THE CENTURY OF THE SELF) sollten in Schulen gezeigt und debattiert werden.

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Beitrag ursprünglich HIER erschienen als Instagram Guide

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Josef Zorn

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